All(mend) Times Favourites

Der Transfer-Coup

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In der Rubrik „All(mend) Times Favourites“ blicken wir zurück auf spezielle Momente und skurrile Geschichten rund um den FC Luzern. Unvergessliche Spiele, haarsträubende Skandale, sensationelle Leistungen und desaströse Fehlentscheide – gerade der FCL bot in seiner jüngeren Vergangenheit viel entsprechender Gesprächsstoff. Wir lassen ihn Revue passieren.

Der Transfer-Coup

Exakt heute vor 16 Jahren, am 7. August 1999, ereignete sich eine dieser Geschichten. Am 7. Spieltag der NLA-Qualifikationsrunde ist der FC Aarau zu Gast auf der Luzerner Allmend. 12‘156 Zuschauer pilgern ins Stadion. Eine stattliche Zahl. Das liegt aber nicht zwingend am Gegner und auch nicht am anschliessend stattfindenden Seenachtsfest. Das erste Spiel von Kubilay Türkyilmaz im FCL-Dress ist es, dass die Massen bewegt und das Allmend-Stadion zum erstmal seit Jahren wieder mit mehr als 10’000 Zuschauer zu füllen vermag. Die anwesenden Fans werden Zeuge eines Einstands nach Drehbuch.

Dass Kubi, einer der grössten Schweizer Fussballer aller Zeiten, einmal beim FCL auflaufen würde, davon wagten die Innerschweizer Anhänger nur zu träumen. Die FCL-Fans wären Wochen zuvor schon heilfroh gewesen, hätte man ihnen zugesichert, dass überhaupt noch jemand im FCL-Dress aufläuft.  Im Frühjahr 1999 herrschte beim Luzerner Fussballclub nämlich wieder einmal akutes (Finanz-)Chaos. Nur mit Ach und Krach erhielt der Verein im Sommer die Lizenz – und konnte die Spielzeit 1999/2000 überhaupt in Angriff nehmen. Infolge der finanziellen Unsicherheiten bestand der Kader zum Saisonstart aus gerade einmal 13 Mann – zumeist unerfahrene und damals noch unbekannte Spieler wie Alex Frei und Christoph Spycher. FCL-Trainer Andy Egli stellte unter widrigsten Umständen ein Team zusammen, das in den Augen vieler nicht NLA-tauglich war.

Doch das Team startete unerwartet solide. Und Präsident Albert Koller gelang mit der Verpflichtung von „Kubi“ ein regelrechter Transfer-Coup. Kubilay Türkyilmaz, Schweizer Fussballer des Jahres 1996, 1997 und 1998, 159-facher Goalgetter bei Bellinzona, Servette, Bologna, Galatasaray Istanbul und den Zürcher Grasshoppers. Er, der 62 Spiele für die Schweizer Nationalmannschaft bestritt und dabei 34 Tore erzielte. Nun beim FCL. Zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung war Kubi 32 Jahre alt. Nach seinem vorzeitigen Abgang vom Grasshopper Club spielte er das erste Halbjahr 1999 für den FC Locarno, hielt sich im Sommer bei seinem Heimatverein Bellinzona fit. Zweifel über seinen gesundheitlichen Zustand machten die Runde. Doch Albert Koller bewies ein glückliches Händchen.

 

Gleich beim ersten Spiel zeigt Kubi sein Können. Nach anfänglichem 0:1-Rückstand bereitete er das 1:1 vor und erzielte, 2 Minuten vor Schluss, das 2:1 gleich selber. In den lokalen Medien war Kubis Einstand DAS Thema.

 

 

titek_kubi„Kubi, Kubi, Kubi“. Die Szene, die sich am Samstag beim Aufwärmen auf dem Allmend-Rasen um 19.10 Uhr im FCL-Fanblock ereignet hat, wiederholt sich um 21.15 Uhr. Unterschied: Alle machen mit. „Kubi, Kubi, Kubi“, tönt es sogar von der Tribüne des Allmend-Stadions. Luzern feiert seinen neuen Helden. „Ich bin zufrieden mit meinem Einstand. Aber grundsätzlich geht es nicht um mich, sondern um die Mannschaft“, meinte der 32 jährige, kann aber nicht verstecken, dass er nach dem 2:1 Sieg über Aarau den Jubel und das Bad in der Menge geniesst.

 

„Wie ich mich fühle? Danke, gut, es ist sehr angenehm, kurz vor Schluss ein Tor zu erzielen, das entscheiden für das Spiel ist“. Aber es war ja nicht nur diese Tor, der erste NLA Treffer seit dem 5. Dezember 1998, welches Türkyilmaz zur grossen Figur des Spiels werden liess. Was der Rückkehrer anpackte, hatte Hand und Fuss. Und vor allem Kopf. Freistösse, Eckbälle, geniale Zuspiele. Bei jeder gefährlichen Aktion hatte Kubi seine Füsse im Spiel. Er übernahm Verantwortung, scheute sich nicht davor, bei stehenden Bällen Lubamaba oder Wyss die Arbeit mit selbstsicherem Auftritt abzunehmen.

 

„Ich bin noch nicht hundertprozentig fit. Aber ich nähere mich mit jedem Spiel mehr einer noch besseren Form. Aber wer hätte schon gedacht, dass Kubi Luft für einen 90-minütigen Auftritt hätte? Kleine Kunstpausen waren natürlich dabei. Aber auch viel Intelligenz. In der zweiten Halbzeit ging er den Zweikämpfen oft aus dem Weg und liess sich von der Spitze ins Mittelfeld zurückfallen, um dann kurz vor Schluss zu explodieren. Typisch „Kubi“. In Hochform gerät er jeweils in der Schlussphase. Von seinen 121 Toren in 198 Spielen seit 1987 hat er deren 43 ab der 76. Minute erzielt. Jetzt stellt sich die Frage, was denn passiert, wenn Türkyilmaz hundertprozentig fit ist…

 

„Mein Dank gilt auch Bellinzona. Ich durfte dort mittrainieren, als ich keinen Klub hatte. Es hat geheissen, ich hätte nur Luft für 20 Minuten… Jetzt sieht man, dass ich in Bellinzona offenbar trainiert und  gearbeitet habe.“ Das hat auch sein Trainer gesehen. Auch wenn der Entscheid, dass Türkyilmaz durchspielen wird, erst nach dem verletzungsbedingten Ausscheiden von Gian gefallen ist. Ein Entscheid, der am Ende dem FCL zwei zusätzliche Punkte eingetragen hat.

 

„Der Sieg gegen Aarau beruhigt. Er gibt uns Moral und die Möglichkeiten, in den nächsten Tagen in aller Ruhe das Spiel in Basel vorzubereiten.“ Und während Türkyilmaz in den Garderobengängen seine Matchanalyse mit einem Blick in die Zukunft abschliesst, tönt es draussen noch immer „Kubi Kubi Kubi“.

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Viel Wille und ein Türkyilmaz

 

Gegen Lausanne der Wille, gegen Aarau Türkyilmaz: Dem 0:1 folgt das 1:1 und, wieder spät, das 2:1. Wie Luzern sein drittes Heimspiel gewann und sich alles auf einen Mann fokussiert.

 

Grossartig sei es gewesen, entfuhr es Alex Frei, einen wunderbare Sache, an der Seite von Kubilay Türkyilmaz spielen zu dürfen. Und „Er ist ein grosser Fussballer“. Mehr brauchte er nicht zu sagen, Freis Zusammenfassung war pointiert und hatte allgemeine Gültigkeit an diesem Samstagabend. Dass es zum Schluss auf der Allmend zuging wie damals, als der problembeladenste Abschnitt der Vereinsgeschichte erst noch bevorstand, macht aus dem 7. August ein besonderes Datum. Sie feierten den FC Luzern, vor allem aber feiert sie „Kubi“ den Neuverpflichteten, „Kubi“ ihren neuen Start.

 

Es war der Tag an dem der 32jährige Türkyilmaz seinen Einstand für den FCL gab, es war der Tag an dem erstmals seit zwei Jahren mehr als 10’000 Zuschauer den Weg ins Stadion fanden, und es war der Tag, an dem alles, was passierte seinen Teil zu einem harmonischen Gesamtbild beitrug: zuerst der Rückstand (bereits der vierte in Serie), nach der Pause der Ausgleich und kurz vor dem Abpfiff das 2:1 Und weil Protagonist Türkyilmaz seiner Rolle gerecht wurde, das 1:1 vorbereitet, das 2:1 selber schoss und dafür einen späten Zeitpunkt wählte, passten die Ereignisse perfekt in den Rahmen.

 

Die Bemühungen, den prominenten Spieler vorübergehend aus Brescia nach Luzern zu holen und damit die lokale Fussballindustrie neu anzukurbeln, haben sich ein erstes Mal ausbezahlt. Präsident Alber Koller hat die Gesetzmässigkeit des Geschäft erkannt und vor der Verpflichtung von Türkyilmaz argumentiert, mit einem Fussballer dieser Güteklasse erhalte der FCL neuen Aufschwung.

 

Wojciechowskis 25-m Knaller

Als sich die Ereignisse überstürzten und sich berechtigterweise alles um eben dies Kubilay Türkyilmaz drehte, drohte allerdings in Vergessenheit zu geraten, dass längst nicht alles gut oder gar fantastisch war und die Begegnung mit Aarau mit Ausnahme der ersten zehn Minuten bis zur Pause zu einer mühsamen Angelegenheit verkam. Die Luzerner leisteten sich unüblich viele Leichtsinnsfehler im Spielaufbau, und erschwerend kam gegen den unbequemen Gegner hinzu, dass der Angriffsaufbau anfänglich zu langatmig war und nur kompliziert vor sich ging.

 

Aaraus Pol Wojciechowski erzielte schliesslich, als er zufällig an den Ball kam, unbedrängt Richtung Luzerner Strafraum loslief und ihm noch rund 20m Meter bis zur Grundlinie fehlte, das sehenswerte 1:0 für den Gast. Und zwei Minuten danach hatte Baldassarri in der Vorbereitungsphase alles so gut gemacht, dass Ivanov eigentlich nichts mehr falsch machen konnte. Er brachte es trotzdem fertig, aus sieben Metern allein vor Foletti neben statt ins Tor zu schiessen. „Diese nicht verwertet Chance“, bemerkte Trainer Dries später, „war mit ein Grund für die aus unserer Sicht negative Entwicklung des Spiels.“

 

Wyss bleibt Penaltyschütze

Ein anderer, mindestens ebenso gewichtiger Grund war die Szene in der 40. Minute, in der Baudry, bereits verwarnt, zum zweiten Mal gelb und folglich rot sah. Der französische Verteidiger hatte Frei, von Türkyilmaz lanciert, zu Boden gedrückt. Dass Wyss, der wie Arnold nicht zu seiner Normalform fand, mit dem Penalty nur den Pfosten traf, war ebenfalls ein Besonderheit des Abends. Laut Andy Egli war nicht abgemacht, wer die Verantwortung in diesem Fall übernehmen sollte. Wyss, der Captain, entschied, und nach misslungenem Versuch wird er auch das nächste Mal antreten. „Wer einen Penalty verschiesst“, sagte Egli hinterher, „muss bald möglichst wieder einen treten.“

Baudrys Ausfall war das endgültig Signal für die Wende der Partie. Der Brasilianer Gian glich mit seinem dritten Saisontreffer aus, und die Nummer „29“, immer wieder sie, sorgte nach dem mit einem raffinierten Freistoss eingeleiteten Ausgleich.  auch dafür, dass die Stimmung auf der Allmend kontinuierlich stieg. Türkyilmaz war mit Abstand auffälligster Spieler auf dem Platz. Er trat die meisten Freistösse, und als er sich zwischenzeitlich ins Mittelfeld zurückfallen liess, befürchtete Egli, „dass Kubi seiner Aufgabe im Sturm aus dem Weg gehen wollte“.

Egli änderte seine Sicht der Dinge, als die Schlussphase kam, aufgrund der zweiten Halbzeit folgerichtig das 2:1 fiel und im Gegensatz zu Lausanne neben dem Willen des Kollektivs Türkyilmaz für den späten Unterschied sorgte. Das sei Klasse, bemerkte Egli, die Art und Weise, wie Türkyilmaz das Tor erzielt habe, zeugevon physischer Robustheit, kurz: „Es war grossartig.“telegramm_kubi

 

Luzern „Kublikum“ feiert den neuen Star

 

Das Fazit. Der FC Luzern liess Aarau nach furiosem Start bis kurz vor der Pause aufkommen. Er beging leichtsinnige Fehler, und die Bindung zu Kubilay Türkyilmaz kam nicht wie gewünscht zu Stande. Das ändert sich mit Baudrys Platzverweis und dem Beginn der zweiten Halbzeit. Angeführt vom herausragenden Türkyilmaz glichen die stürmischen Luzerner zuerst aus. Der Siegtreffer gegen die nummerisch unterlegenen, aber gut organisierten Aarauer fiel zwar erst zwei Minuten vor dem Ende, aber verdient, weil sich nicht nur Türkyilmaz sondern die gesamte Mannschaft deutlich steigerte.

Der Verletzte. Gian, der sein drittes Saisontor erzielte, verletzte sich ohne gegnerische Einwirkung am Knie. Der Misstritt war zwar sehr schemrzhaft, scheint aber keine gravierenden Folgen nach sich zu zeihen. Trainer Egli geht davon aus, dass Gian am Sonntag in Basel wieder zu Verfügung steht.

Der Spruch. „Typisch Kubi“
Luzerns Captain Thomas Wyss, kurz und prägnant, zur Art und Weise, wie Kubi in der 88. Minute das 2:1 erzielte.

Das neue Wort. 12’156 kamen und feierten ihren neuen Star. Ein beträchtlicher Anteil des Publikums pilgerte wegen „Kubi“ auf die Allmend . Darum. Das Luzerner „Kublikum“.

 

Kubilay Türkyilmaz bestreitet in Luzern schlussendlich 14 Partien. Und erzielt 6 Tore. An seiner Seite schiesst Alex Frei die ersten Tore in der NLA. Kubi beflügelt aber nicht nur seinen Sturmpartner, sondern das ganze Team. Der FCL spielt – allen Startwirren zum Trotz – eine erfolgreiche Qualifikationsphase, die mit einem Platz in der Finalrunde belohnt wird. Auch als Kubi den FCL nach halbjährigem Engagement in der Winterpause verlässt und zu „seiner“ AC Bellinzona zurückkehrt, behält Blau-Weiss Oberwasser. Schlussendlich qualifiziert sich das Team als Fünftplatzierter sogar für den Europa-Cup 2000/2001. Im UI-Cup wird dem FCL das isländische Team von ÍF Leiftur zugelost. Doch dies ist wieder eine andere Geschichte…

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