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Schäm dich, Profi-Fussball!

Die Grossclubs schenken sich die erste(n) Cuprunde(n). Amateur-Vereine werden deswegen um ihre Clubhighlights gebracht, Fans müssen auf ihre Kultreisen verzichten und der Cup-Wettbewerb wird weiter degradiert. Ein abgehobener Entscheid, der stellvertretend für vieles steht, was im (Profi-)Fussball falsch läuft.

Ob für die kleinen Vereine oder für die Fans der grossen Clubs: Der Schweizer Cup – und die Startrunden im Speziellen – gehört zu den Saison-Highlights. In den vergangenen Jahren konnten sich die FCL-Fans im Cup über so manche herzliche Gastfreundschaft erfreuen. Von Gland bis Kreuzlingen, von Naters bis Murten: In allen Ecken der Schweiz wurde mit grossem Engagement und viel Herzblut alles unternommen, damit ein grosses Volksfest in ausgelassener und friedlicher Stimmung über die Bühne gehen konnte.

Diese sympathisch-unkomplizierte Herzlichkeit, die man in den grossen, auf Effizienz und Sicherheit getakteten, Stadien fast gänzlich vermisst, lässt das Herz eines jeden Auswärtsfahrers höherschlagen. Und wenn dann der Grilleur nicht nur tolle Bratwürste brätelt, sondern auch im Bierexen eine starke Performance an den Tag legt, dann fliegen dem Gastgeber die Sympathien endgültig nur noch zu. Da bleibt man gerne auch nach Spielende noch etwas hocken, tauscht mit den Bardamen Leibchen aus und öffnet gemeinsam mit den Einheimischen ein-zwei-drei Buddlen Weisswein zusätzlich. Und am Ende tanzen die kinderfressenden Hooligans und die Dorfprominenz gemeinsam auf den Tischen.

Herzhafte Fussballfeste

Es sind im Grunde genommen ganz einfache Geschichten wie diese, die die Cupfaszination ausmachen. Unterschiedliche Menschen, die im gemütlichen Rahmen zusammen diskutieren, lachen und feiern. Werte, die der Fussball eigentlich transferieren möchte, es im geldgetriebenen Profibereich aber immer weniger tut.

Umso schöner, wenn man sie zumindest im Cup noch erleben darf. Da reist man gerne auch mal mit dem Velo an, wie letzten Sommer, als 200 FCL-Fans mit dem Drahtesel nach Wohlen geradelt sind. Oder man gewährt einem nackigen Flitzer einen sicheren Unterschlupf: Im jurassischen Le Locle wird man wohl noch Jahre davon erzählen, wie dieser freizügige junge Mann mit rosarotem Shirt und blonder Perücke der herbeieilenden Securitas nach seinem Sprint über das ganze Feld mit einem waghalsigen Hechtsprung in den Gästesektor entkommen konnte.

Dass nach Spielende bei der obligaten Welle mit der eigenen Mannschaft auch die Spieler, Ballbuben und Physiotherapeutinnen des Heimclubs mitgefeiert werden, hat sich längst eingebürgert. Die gegenseitige Wertschätzung gehört genauso zum Cupfest wie der Sonnenbrand und der Kater am Tag danach.

Zäsur in der Cupgeschichte

In der neuen Cupsaison wird es solche Feste nicht geben. Gemäss Entscheid des SFV geniessen sämtliche Vertreter der NLA und NLB in der ersten Runde das Privileg eines Freiloses. Die vier besten (und reichsten) Vereine dürfen gar erst in den Achtelfinals starten.

Dies hat Folgen für die anderen Cup-Teilnehmer. Für den SC Steinhausen etwa, der erstmals im Hauptfeld des Schweizer Cups gestanden wäre. Anstatt von einem Fussballfest gegen Luzern oder den FCZ zu träumen, muss er nun in die Zusatz-Quali. Im Endeffekt wird es wohl zu keinem einzigen Duell zwischen Amateur- und NLA-Club kommen. Von den 34 zunächst qualifizierten Teams aus den unteren Ligen schaffen es nämlich nur noch bloss deren neun Vereine in jene Runde, in der sie einen «Grossen» überhaupt zugelost erhalten können. Auf YB, Basel, St.Gallen und Servette, welche noch eine Runde später einsteigen, müssen sie sowieso verzichten. Fussballfeste für die kleinen Vereine? Wen interessierts! Der Cupgedanke wird mit Füssen getreten.

Und wieso das Ganze? Weil «der Terminkalender im Schweizer Profifussball viel enger ist als sonst», wie es der SFV in seiner Mitteilung erklärt. Stimmt zwar. Doch wurde zuletzt nicht zwei Monate lang im (weitaus enger getakteten) 3-Tages-Rhythmus getschuttet? Und nun halten es dieselben NLA- und NLB-Clubs nicht für möglich, innerhalb von neun Monaten ein einziges zusätzliches Spiel zu bestreiten? Ernsthaft?

(Un)solidarische Einbahnstrasse

Die Corona-Krise hat die seit Jahren bestehenden strukturell-finanziellen Probleme des Profi-Fussballs weiter verschärft. Es ist verständlich, dass die Clubs nach Möglichkeiten suchen, sich zu entlasten. Doch auch – oder gerade – in der Krise sollte man nie den Anstand, die Bodenständigkeit und den Gesamtblick verlieren.

Wenn die Profivereine für sich selber lauthals Solidarität einfordern, gleichzeitig aber (solche) elitäre Entscheidungen treffen, welche die «Grossen» auf Kosten der «Kleinen» bevorzugen, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn der Fussball weiterhin nicht jene öffentliche Unterstützung erhält, die er gemäss seinen Entscheidungsträgern scheinbar verdienen würde.

Der Profi-Fussball steht am Scheideweg. Die Devise der Fussballbosse lautet: Die Spitzenclubs müssen in der heutigen Form erhalten werden. Um jeden Preis. Das Schlimmste, das dem Fussball passieren kann, ist allerdings mitnichten, dass die bestehenden Strukturen bzw. die Profivereine ins Wanken geraten. Sondern dass diese genauso egoistisch weitermachen können, wie bisher.

Übrigens: Sollten in der NLA auch noch monatelang (fast) keine Zuschauer zugelassen sein, Alternativen gibt es zuhauf. Fussballspiele auf kleinen Sportplätzen können (mindestens) genauso interessant sein wie in den grossen Stadien. Die FCL-Fans können es bestätigen.

Verweis:

Dieser Text wurde im “Anpfiff 2020/2021” veröffentlicht. Das Magazin durchleuchtet jeweils zum Saisonstart die Innerschweizer Fussballvereine von der NLA bis zur 5. Liga. Das Magazin kann online bestellt werden auf https://anpfiff-innerschweiz.ch/ .

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2 Kommentare

  1. SK05 Wil says:

    Danke für diese Zeilen.
    Ich habe beim Lesen Gänsehaut und feuchte Augen bekommen.

    Fussball ist für alle da!

  2. Markus Wetterwald says:

    Hervorragender Bericht. Danke. Du sprichst mir aus dem Herzen.

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