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Geh mir nicht auf die Eier Georges

Es war wohl vor der WM 1994. In der lokalen Dorf-Bäckerei wurden von uns Kindern für eine gewisse Zeit anstelle der Süssigkeiten, Zweifel Chips gekauft. Mit jeder Packung erhielt man «Pogs», fünfliibergrosse Kartonplättchen, jeweils mit einem Foto-Aufdruck eines Schweizer Nationalspielers. Ich hatte sogar eine Extra-Aufbewahrungsbox die man an den Gürtel klemmen konnte. Was ein Boss! Zu der Zeit waren diese Dinger total im Trend und es gab verschiedene Kollektionen, beispielsweise mit den Power Rangers oder mit Figuren aus König der Löwen. Was man damit tun konnte wusste ich damals nicht wirklich und auch heute erschliesst sich mir der Sinn nicht ganz. Wie immer waren die glänzenden und auch jene aus Hartplastik, die «Slammer», die Wertvollsten. Das waren die Fidget Spinner von damals. Auf jeden Fall hatten die Spieler der Nationalmannschaft immer eine besondere Bedeutung für mich. Einer dieser abgedruckten Spieler war Georges Bregy.

Pog_Collection

Ich mag mich an keine Schweizer Nationalmannschaft besser erinnern als an jene von 1994, obwohl ich damals ein kleines Kind war und meine kognitive Leistungsfähigkeit seither eher zugenommen haben müsste. Wenn ich heute die Liste der Spielernamen durchgehe schiesst mir fast das Wasser in die Augen. Alleine ihre Namen haben diese Spieler für mich unvergesslich gemacht. «Yvan Quentin», «Christophe Ohrel» oder «Patrick Sylvestre» lösen auch heute noch ein exotisches Gefühl in mir aus, obwohl die Spieler der damaligen Mannschaft, mit berühmten Ausnahmen, in der heimischen Liga kickten. Darunter auch zwei Luzerner: Der eine war Martin Rueda.

FireShot Capture 185 - Fußball-Weltmeisterschaft 1994_Schweiz – Wikipedia - de.wikipedia.org

Das nie erhaltene Trikot

Thomas Wyss war der andere. Es war an meiner Firmung an welcher ich von meiner Familie zur Feier des Tages ein Geschenk erhielt. Meistens merkt man bereits anhand der Verpackung, ob die im Vorfeld geäusserten Wünsche in Erfüllung gehen werden. Und ganz ehrlich, damals wie heute würde ich mich mehr über ein Spielzeug freuen als über Kleider. Doch an diesem Tag fühlte sich der Inhalt nach einem Kleidungsstück an und ich freute mich riesig, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen würde. Die Freude wurde immer grösser, als ich beim Öffnen das unverkennbare Blau entdeckte. Das schönste Trikot, in welchem der FCL jemals antrat! Der blaue Stoff mit dem weissen Aufdruck «SCHILD – C’est chic», die drei weissen Streifen auf der Brust und die schwarzen Ärmel machen es für mich zu einem perfekten FCL-Trikot. Die verschiedenen Farben sind bei diesem Shirt als Stoffe sauber vernäht und absolut hochwertig, während sich die heutigen Trikots eher ein wenig plastisch und klebrig anfühlen. Wenn ich zurückdenke fühle ich wie mein Strahlen mir fast das Gesicht zerrissen haben muss.

Alle Spieler hatten unterschrieben. Ein grossartiges Geschenk. Auf dem Rücken war die Nummer 29 – Kubilay Türkyilmaz. Was? Ich habe mich gefreut, wirklich. Aber ich konnte meine Enttäuschung in diesem Moment nicht verbergen. Ich war den Tränen nahe – vielleicht flossen sogar welche – ich weiss es nicht mehr. Boah, und dann soll die Freude beim Bedanken auch noch ehrlich wirken. Thomas Wyss war bei meinem Stammverein zusammen mit Stefan Wolf im Juniorenlager, nicht Kubi. Thomas Wyss war mein Lieblingsspieler, nicht Kubi. Sein Name müsste auf dem Rücken stehen. Thomas Wyss war mein Christiano Ronaldo.

kubi

Schnäuzer der Nation

Noch heute trage ich dieses Trikot mit Stolz und einem Dankbarkeitsgefühl. Ja, es geht mir auch heute noch. Aber es ist das falsche Shirt – noch immer. Kubi war grossartig, wirklich. Aber Kubi war nicht Tommy Wyss und spielte im Gegensatz zu ihm auch nicht an der WM’94.

Thomas Wyss wurde in den USA in einem Spiel eingesetzt. Georges Bregy seinerseits spielte in allen vier Partien. Mit seiner urvölkischen Ausstrahlung und seinem legendären Schnäuzer wurde er einer meiner Kindheitshelden. Supplementiert wurde der Mensch Bregy durch den sympathischen Dialekt. In einem aus allen Ecken zusammengewürfelten Team, das dennoch irgendwie ein Zugehörigkeitsgefühl schuf, war er ein unauffälliges und dennoch wichtiges Rädchen, ohne das das Team nicht funktioniert hätte. Ob er spielerisch gut war, kann ich rückblickend nicht bewerten. Für mich war er es damals und das zählt.

Alle Walliser sind Arschlöcher

Diese Aussage aus dem Zwischentitel nehme ich sofort zurück, weil ich ansonsten meine halbe Verwandtschaft beleidigen würde. Vielleicht hat sich Georges Bregy gerade wegen meiner Wurzeln in meine Erinnerung eingebrannt. Ich muss aber auch gestehen, dass Bregys weitere Club- und berufliche Karriere in meiner Wahrnehmung keinen grossen Platz eingenommen hat. Wahrscheinlich war ich auch deswegen etwas verwundert, in der vergangenen Woche wieder auf ihn zu treffen.

Vielleicht ist Bregy schon jahrelang Experte für Teleclub. Ich kann es nicht einschätzen. Die Spiele des FC Luzern verfolge ich alle live im Stadion und die restlichen Partien der Liga tue ich mir nur in Ausnahmefällen an. Bregy ging am Mittwoch dieser Woche viral. Im Pauseninterview des Spiels zwischen dem FCL und den Young Boys zeigte sich: Georges Bregy ist ein Arschloch und gesellt sich damit zu den anderen Arschlöchern aus seinem Kanton – Sepp Blatter und Gianni Infantino.

«Fans sind dazu da die eigene Mannschaft zu unterstützen»

Mit einem flotten Spruch und einem breitfälligen Grinsen setzt Bregy an: «Ich muss einfach sagen, ich finde einfach… die Geste der Fans… die Fans nehmen sich immer wichtiger… sie haben immer das Gefühl sie müssen etwas beweisen oder zeigen, dass man nicht einverstanden sei. Ich habe schon vor dem Spiel gesagt: Die Fans sind dazu da die eigene Mannschaft zu unterstützen. Dann sollen sie das machen und nicht so unnötige Aktionen die niemandem etwas bringen.» 

Als hätte ihm das Karma zugehört beendet er seine Haltung gegenüber der Aktion, als zu Spielbeginn Hunderte von Hühner- und Schocko-Eier auf das Spielfeld flogen, mit einem wohlklingendem «Achtig, Achtig!». Weltklasse! Genau mein Humor!

Die Teleclub-Crew wurde von einem Teil des Luzerner Anhangs mit Eiern beworfen. Dies weil sie mitverantwortlich sind für die zeitliche Spielansetzung und auf ihren Vertrag beharrt hatten. Der schnauzbärtige Walliser duckte sich wie ein wachsamer Boxer vor den heranfliegenden Eiern. Die Eierwerfer dürften erst im Nachgang erfahren haben, was Bregy kurz zuvor in die Kamera gesagt hatte. Der Ärger unter ihnen dürfte gross sein, dass sie es nicht mit jedem einzelnen Ei auf Bregy abgesehen hatten.

Wem gehört der Fussball?

Die Fans seien nur dazu da, ihre Mannschaft zu unterstützen. Sie hätten keine Erlaubnis unzufrieden zu sein. Sie hätten alles zu schlucken und seien nur dazu da den korrupten Verbänden ihr hart erarbeitetes Geld in den Rachen zu stopfen. Und wenn diese noch mehr verlangen, dann hätten die Fans dies gefälligst und ohne Widerrede zu tun. Der Fussball braucht und will eigentlich keine Fans, sondern nur ihr Geld. Fick dich!

Der Fussball ist verdorben. Ihn zurückzuerobern ist unmöglich und eine solche Aussage wäre lediglich eine Floskel. Dafür sind die Mächtigen mittlerweile zu mächtig. Aber es erfüllt mich mit Stolz, dass man sich in Luzern nicht damit abfinden will und nicht aufgibt, sich zumindest ein Stück davon zurückzuholen. Es ist zu hoffen, dass sich die Anhänger der anderen Vereine ebenfalls noch nicht aufgegeben haben und sich künftig auch die Fanschar aus Bern wieder vermehrt gegen die Geiselnehmer wehrt.

Der Fussball entfremdet die Menschen immer mehr. Das merkt man auch in Luzern. Viele langjährige Fans sind bereits verschwunden und haben die einst grosse Liebe verlassen. Lieber FCL, du hast noch immer Fans die dir überall hin folgen. Trotz allem. Aber du verlierst sie, einen nach dem anderen. Nimm ihre Anliegen ernst! Wer wärst du ohne sie? Gib ihnen den Glauben an den Fussball zurück!

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