Aktuell

Die Wahrheit

Aus aktuellem Anlass: Ein breitgefächert-wilder, in höchsten Graden subjektiver, aber selbstverständlich auf härtesten Fakten basierender Exkurs eines sogenannt unabhängigen Qualitätsjournalisten zur Thematik Fussball und Wahrheit.

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Tote bestohlen, auf Opfer uriniert und Helfer verprügelt. Mit diesen wüsten Anschuldigungen giftelte „The Sun“ auf ihrer Frontseite vom 19. April 1989 gegen die Liverpool-Fans. Alles war erlogen.

Eine bewegende Woche für Fussballfans. Am vergangenen Dienstag kam in England eine Untersuchungskommission zum Schluss, dass die Katastrophe von Hillsborough kein Unfall war bzw. die Schuld für die 96 Todesopfer nicht bei den betrunkenen, austickenden Fans lag, wie dies von den britischen Behörden jahrelang behauptet wurde, sondern auf Versagen der Polizei zurückzuführen war. Was in Fussballkreisen seit jeher bekräftigt wurde, ist nun also auch von unabhängiger Instanz bestätigt. Die jahrzehntelange Vertuschung hat ein Ende. Die Lügen von Polizei, Behörden, Politikern und Medien aufgedeckt. Der Schaden aber ist längst angerichtet. Im Nachtrag zu Hillsborough verschärfte die britische Regierung die Fussballfangesetzgebung massiv. Stehplätze wurden verboten, die Stadien vom Arbeiterpöbel gesäubert.

Behördlich angeordnete Öffnung des Fanlokals

Ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Zentralplus einen Artikel über den bevorstehenden Match des FC Luzern gegen den FC Basel vom Pfingstmontag, 16.05.2016. Gemäss Mietvereinbarungen hat das Fanlokal an diesem Feiertag geschlossen. Wie die USL bereits informierte, treffen sich die FCL-Fans daher am Altstadt-Reussufer zum Einstimmen auf das Spiel. Das passt den Behörden gar nicht. Wie Zentralplus vermeldet, setzen sich die Polizei und die Stadtbehörden nun gar offensiv dafür ein, dass die Zone 5 am Pfingstmontag gegen den FCB geöffnet werden kann. Verkehrte Welt. Selbige Kreise fordern ansonsten doch die Schliessung – oder zumindest eine Umsiedlung – des Lokals.

Hensler stellt Fanlokal in Frage

In den vergangenen Jahren wurde die „berüchtigte Zone 5“ verunglimpft und mit Falschaussagen diskreditiert. Die Leier der Subventionierung durch Kanton/Stadt hält sich beispielsweise bis heute beharrlich. Der ehemalige Polizeichef Beat Hensler forderte in seinem kleinen persönlichen Feldzug gegen die Fussballfanszene gar die Zone 5 dicht zu machen. Klöpft es im Umfeld von FCL-Spielen, ist die Zone 5 auch heute noch sofort ein Thema. Wenn sich Zürcher und Luzerner Fussballanhänger im Moosmatt-Quartier – unter Beobachtung von ungewohnt inaktiven Polizeieinheiten – minutenlang die Köpfe einschlagen, wie vergangenen Mai der Fall, so hat daran auch das FCL-Fanlokal eine Mitschuld, auch wenn es am Bundesplatz selber ruhig bleibt.

Nur die Basler

Aber wer nimmt das auch so genau mit der Wahrheit. Im selben Artikel bekräftigt der heutige Oberbefehlshaber der hiesigen Polizei, Adi Achmermann, zudem, dass in Luzern „nur die Basler durch die Stadt marschieren dürfen“. Diese Aussage ist richtig. Denn die Zürcher mussten am besagten Spiel von Mai 2015 vom Bahnhof zum Stadion – und wieder zurück – marschieren. Dies, obschon „die FCZ-Fans ausdrücklich mit dem Bus zum zum Stadion wollten“, wie der Zürcher Fanarbeiter Ramon Castillo am 28.05.2015 in der Pfadizeitung zitiert wird. Kritisch hinterfragt wurde diese, von der Luzerner Polizei diktierte, Kuriosität in besagtem Medium allerdings – wenig überraschend – nicht. Es interessierte auch niemanden, dass Adi Achermann in der gleichen NLZ-Ausgabe den FCL-Fans die Schuld für die Schlägereien in die Schuhe schob, weil diese „sich nach dem Spiel [auf ihrem Rückweg vom Stadion zur Zone 5] nicht an die zeitliche Abmachung hielten“.

Schäppere loh

„Krawalle weil FCL-Chaoten sich nicht an Zeitplan hielten“ titelte Maihof daraufhin. Dass die FCL-Fans auf ihrer Fanroute zurück zum Bundesplatz keinerlei Anweisungen von Seiten der Polizei erhielten (wie dies die USL in einer Stellungnahme ausdrücklich erwähnte) und die Polizei genau wusste, welche Routen sowohl Luzerner wie auch Zürcher Fans nahmen – dieselbe wie immer nämlich – sowie dass sich die beiden Fangruppen bei diesem Streckenverlauf im Bereich Eschen-/Voltastrasse direkt aufeinander zubewegen, wurde öffentlich nicht diskutiert. Dieser „Einsatzplanungsfehler“ wäre durchaus erklärbar mit der gewohnt wenig glorreichen Polizeiarbeit. Man muss aber auch kein allzu grosser Verschwörungstheoretiker sein, um zumindest die Frage in den Raum zu stellen, ob besagte Krawalle von den Polizeieinsatzkräften nicht bewusst herbeigeleitet wurden – oder zumindest nicht verhindert werden wollten.

Unabhängige Parteiigkeit

Doch die Wahrheit ist, was der Pöbel frisst. Unter der gemeine Pöbel in der Zentralschweiz frisst bekanntlich dem einen Monopolblatt aus der Hand. Und dieses vermarktet sich gut. Im Gegensatz zu vielen anderen Titeln Buy Bacterfin , konnte die NLZ ihre Auflagen in den vergangenen Jahren ständig steigern. Der (ungewollt) abtretende Chefredaktor Thomas Bornhauser („Die Zeitung zählt!“) kann also auf eine zumindest quantitativ erfolgreiche Amtszeit zurückblicken.

Dass sein beruflicher Erfolg sich allerdings nicht positiv auf sein privates Glück abfärbte, erzählte er in der NLZ-Ausgabe vom 25.04.2016. Seine Position bei der Pfadizeitung bzw. sein besessen anmutender Antrieb, unabhängig von jeglichen Einflüssen zu bleiben, erschwerte ihm, Freundschaften zu schliessen. “Ich bin überzeugt, dass man in dieser Funktion tatsächlich auch ein Stück Alleinsein ertragen muss”, berichtet er in seinem Abschlussinterview. Thomas Bornhauser, 23 Jahre Chefredaktor bei der Pfadizeitung. Freunde: Null. So himmeltraurig uns das alle macht, eins ist damit ein für alle Mal klar: Walter Stierli war kein Freund von Bornhauser – auch wenn das in gewissen verbitterten sogenannten Fankreisen gerne immer wieder behauptet wird! Wem persönliche Kontakte, vertraute Freunde und tiefgehende Freunschaften wichtig sind, der wird wohl besser nicht Chefredaktor im Maihof. Aus Zwischenmenschlicherbeziehungssicht hätte Bornhauser also gescheiter einen anderen Weg eingeschlagen, wäre beispielsweise Präsident des FC Luzern geworden. Der FCL-Präsi, so weiss Bornhausers zukünftiger ex-Arbeitgeber genau, hat nämlich viele Freunde (Der Cheftrainer, ect.).

Bornhauser – und seinen verlängerten Sprachrohren – trauert man (hinter hervorgehaltener Hand) bei der Belegschaft im Maihof („Der 17. Februar [Tag der Bekanntgabe] war der schönste Arbeitstag des Jahres“ *ein-wahrscheinlich-nicht-genannt-werdender-NLZ-Mitarbeiter*) wenige Tränen nach. In FCL-Fankreisen schon gar keine. Bornhauser war einer der „Big-ugly-3“, dem Kreise des einflussreichen Trios Walter Stierli, Beat Hensler, Thomas Bornhauser. Mit allen dreien hat sich die Fanszene – aus ausgesprochen verständlichen Gründen – völlig überworfen. Unzählige Kämpfe wurden mit dem Trio ausgetragen. Mit Bornhauser tritt nun der letzte Verbleibende ab.

Es reicht!

Es wird sich weisen, ob sich die Beziehung zur Zeitung unter dem neuen Redaktionsleiter, Jerome Martinu, merklich verändern wird. Wohl eher nicht. Auch Martinu durfte in den vergangenen Jahren regelmässig Frontseiten-Kommentare bezüglich FCL-Fans verfassen – bzw. seinen Namen drunter setzen. Ein revolutionäres „es reicht“ wusste er beispielsweise am 19.08.2014 zu berichten, als Fans in der Stadt aneinander geraten sind. Im Mai 2015, in Anschluss an die wiederholten – und in diesem Blog-Text bereits erwähnten – Scharmützeln zwischen FCL und FCZ-Anhängern griff er noch ein wenig tiefer in die Trickkiste: „Wenn die Masse der Chaoten genug laut schreit, lässt man sie quer durch die Stadt marschieren“, echauffiert er sich (während einige Seiten weiter hinten abgedruckt wird, dass die FCZ-Fans ausdrücklich nicht laufen wollten, sondern mussten). Auch apropos Chaotenproblemlösungswege ist er in bekanntguter Gesellschaft: „Meldepflicht für Hooligans und flächendeckende ID-Kontrollen“ – endlich einer, der was macht! Auch wenn er letzteres bloss „zumindest im Gästesektor“ umzusetzen fordert – also doch ein Softie.

99? 100? 101? 117???

Vielen Fans ist es in der Zwischenzeit wohl ziemlich egal, ob sich die Berichterstattung in der Pfadizeitung ändert oder nicht. Beim Verein dagegen, wünscht man sich sehnlichst, dass der „journalistischen Wahrheit“ wieder etwas mehr Rechnung getragen wird – und Superpressehero Max Fischer zukünftig weniger Zahlenkorrektur-Medienmitteilungen versenden muss.

Intern beim FCL handhaben sie das mit der „Zahlen-Wahrheit“ zwar etwas lockerer. Da darf gerne mal an die grosse Glocke gehängt werden, dass „am 2. April 2016 das 100. Spiel in der Swissporarena“ vor der Türe steht. Blöd halt, wenn diese Zahl nicht nur falsch ist, sondern man den Fehler in der Matchzytig des auserkorenen „Jubiläumspiels“ auch noch ungeniert präsentiert. „Gegen den FC Vaduz trägt unser Team den hundertsten Match in der Arena aus“, vermeldet Ruedi Stäger in seinem Vorwort stolz. Im Bericht dazu auf Seite 32 dann, kann der gemeine Leser unter „Zahlen und Fakten“ selber nachrechnen, wie sich die bisherigen 99 Fussballspiele zusammensetzen: 87 FCL-Meisterschaftsspiele, 6 Länderspiele, 5 Cuppartien, 2 Europaleague-Begegnungen. 87 + 6 + 5 + 2 = 100. Oooops. Ohalätz. Tja, knapp daneben. Dann wär halt schon das letzte Spiel das 100ste gewesen. Aber wer merkt sowas schon. Und – mal ganz unter uns – dass diese Zahl nicht stimmen würde, dass musste (und hat) man erwarten. Von – ebenfalls im schönsten Stadion der Welt ausgetragenen – FCL-Freundschaftsspielen, U21-Matches + Co. wollen wir hier zudem erst gar nicht sprechen, dann wär der Zahlensalat erst recht angerichtet. Richtig lustig ist dann aber noch, dass der Zuschauerrekord im neuen Stadion gemäss „Zahlen und Fakten“ just an einem dieser Freundschaftsspiele, die der FCL in seiner Statistik ansonsten komplett vernachlässigt, datiert – dem Test gegen Dortmund.

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“100” (+/-) Spiele in der neuen Arena. Die Beziehung der Fans zum weltschönsten Stadion bleibt kühl, sehr kühl.

Aber eben, so genau nimmt man es bei der Matchzytig ja eh nicht. Da wird in der Hitze des Gefechts auch schon mal der Todestag von Vereinslegende Gianni Valli um ein paar Tage vorverschoben. Das kann halt passieren. Oder der Vereinsvorsteher lässt seinen Schreiberling unter eigenen Namen das Stadion in den blumigsten Tönen in den Himmel huldigen, obschon man dieses intern sonst immer wieder kräftig kritisiert. Aber hey, auch das geht durch. Einmal ist keinmal. Die Wahrheit ist halt manchmal auch einfach so kompliziert und mühsam.

Nicht bloss kompliziert und mühsam, sondern viel gravierender ist es allerdings, wenn es anstatt der PR-Manager ein Richter nicht so genau nimmt mit der Wahrheit. Erst kürzlich wurde ein Luzerner Fussballfan Opfer willkürlicher Bestrafung. Wieder einmal. Soweit nichts Neues. Diesbezüglich ist man ja bereits sehr abgestumpft, Resignation anstatt Empörung macht sich breit. Dass besagter Fan allerdings nicht von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, sondern von einem Gericht verurteilt wurde, lässt bei der sehr dünnen Beweislage (einzig und alleine die Aussage eines Polizisten) doch aufschrecken. Rechtstaatliche Verhältnisse wie in T(h)unesien.

Fazit: Ob Maihof oder Kasimir-Pfyffer. Ob Zauberhaus oder Goldkäfig. Ob Downing Street oder Wiki-Leaks. Die Wahrheit bleibt vage. Und sie ist dehnbar. Glauben tut man, wessen Wahrheit einem ins Bild passt. Sicher ist einzig: Die Chaoten wüten weiter. Fragt sich jeweils nur, auf welcher Seite sie stehen.

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