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Fans – Repression 1:0

Letzten Sonntag, 20. September 2015, kurz vor 12 Uhr Mittags: Der Bahnhof Luzern gleicht einer Festung, errichtet von der Transportpolizei der SBB. Zur gleichen Zeit sind auch in Sursee Teile des Bahnhofs abgeriegelt. Wer eines der Perrons betreten wollte, wurde von Bahnpolizisten in Kampfmontur angehalten, kontrolliert und nach seinem Reiseziel befragt. Offenbares Ziel der Aktion: Die Erfassung aller Fussballfans, welche sich nach dem Extrazugverbot erdreisteten, die Reise nach Neuenburg im Regelzug anzutreten. Dumm nur, dass in erster Linie Touristen, Tagesausflügler und sonstige SBB-Kunden in die Kontrollen gerieten.

Zeitgleich in Neuenburg in einem Restaurant am See: Gut 150 FCL Fans genossen Sonne und Bier. Sie hatten sich bereits früher am Morgen auf den Weg gemacht, um ein friedliches Zeichen zu setzen. Ein Zeichen gegen eine Kollektivstrafe, sicherlich aber auch ein Signal an die Verantwortlichen, was ohne Extrazüge möglicherweise eher die Regel als eine Ausnahme wäre: Grössere Ansammlungen von auswärtigen Fussballfans unbewacht in einer fremden Stadt. Das Wetter spielte mit, die Beizerin erzielte wohl den Umsatz des Jahres, die Vorfreude auf das erste Gastspiel in der neuen Maladière seit mehr als vier Jahren war spürbar. Und die Sicherheit blieb nie ein Thema.

Doch der Reihe nach: Was war eigentlich genau vorgefallen? Anfangs Woche wurde die USL darüber ins Bild gesetzt, dass der Extrazug fürs Gastspiel in Neuchâtel auf Antrag des Neuenburger Regierungsrates gestrichen werde. Gross war die Verwunderung, vor allem aber auch die Ernüchterung, über diesen Entscheid und schon bald ging das Rätselraten über die Beweggründe los. Ereignisse an einem FCL-Spiel in Neuenburg konnten auf jeden Fall nicht herhalten, lag das letzte Auswärtsspiel in der Maladière doch bereits mehr als 4 Jahre zurück. Das neue Hooligankonkordat, welches auch im Kanton Neuenburg in Kraft gesetzt wurde, erlaubt diese Massnahme jedoch explizit, was die Situation für die Luzerner Fans nicht gerade besser machte. Nach und nach kam ans Licht, dass hinter der Aktion die Transportpolizei der SBB stecken musste.

Die Tat eines Einzelnen als Auslöser
Auslöser dieser Massnahme sei ein Vorfall in Lugano gewesen, als eine von einem Fan aus dem stehenden Zug geworfene Flasche einen Bahnpolizisten verletzte. Dieses Fehlverhalten ist zu verurteilen, dies soll hier nochmals erwähnt sein! Wir werden uns auch in Zukunft – und wieder vermehrt – darum bemühen, dass Wurfgeschosse in Extrazügen der Vergangenheit angehören. Trotzdem kann das verfügte Verbot des Extrazuges keine Lösung sein.
Am Vorgehen der Behörden sowie der Transportpolizei ist vor allem eines stossend: Wieder einmal wurde unter dem Vorwand, Sicherheitspolitik zu betreiben, eine Kollektivstrafe für alle Fans verhängt. Dass nach solch einem ärgerlichen Vorfall wie dem Flaschenwurf die Rufe nach Repression wieder etwas lauter werden, ist normal. Das von der Bahnpolizei gewählte Vorgehen gehört jedoch in die Kategorie “blinde Aktionswut”. Die Streichung des Extrazuges trifft nicht nur alle Fans, sondern auch viele übrige Bahnpassagiere, da durch den Ausfall des Extrazuges erst recht eine Durchmischung von Fussballfans und normalen Zugreisenden, ja sogar von gegnerischen Fangruppen stattgefunden hat. Dies bedeutet sowohl für die SBB, die Sicherheitsorgane, die normalen Zugreisenden, wie auch die Fussballfans nur eines, nämlich mehr Stress und eine unübersichtlichere Situation. Darüber, was die letztendlich wirkungslose Übung gekostet haben mag, wollen wir nicht mutmassen. Wenigstens lassen sich diese für einmal nicht medienwirksam als “ungedeckte Kosten für Extrazüge” verbuchen.

Grosser Aufmarsch trotz des Extrazugverbots
Die übertriebene Aktion aus den Federn der Transportpolizei hatte schliesslich zur Folge, dass sich ein nicht zu verachtender Teil der rund 400 Gästefans aus Luzern mit einem der Regelzüge Richtung Westen begab, um den FCL trotz allem würdig zu unterstützen. 400 Gästefans liessen sich den Ausflug nicht verbieten und reisten auf verschiedensten Wegen nach Neuchâtel. Trotz Riesenaufgebot der Transportpolizei und Absperrung zahlreicher Perrons sowie Nebeneingänge in den Bahnhöfen Luzern und Sursee blieb die Situation friedlich wie an den allermeisten Spielen auch. Im Stadion angekommen sorgten sie alle schliesslich für einen lautstarken Support, wie man ihn aus Luzerner Kehlen an einem Sonntag schon lange nicht mehr gehört hatte.

Doppelter Anmarsch wegen des Extrazugverbots
Für die Stadt Neuchâtel bedeutete das Extrazugverbot übrigens auch zwei zusätzliche Fanmärsche (zu den zwei regulären vor und nach dem Spiel) durch die Stadt. Die früher angereisten Fans liessen es sich nämlich nicht nehmen, die Ankömmlinge vom Mittagszug ab Luzern am Bahnhof in Empfang zu nehmen, um schliesslich gemeinsam als eine grosse Gruppe zum Stadion zu marschieren. Nach dem Spiel erfolgte die Rückreise grösstenteils gemeinsam via Bern. Man hatte sich ja das SBB-Sonderangebot “Tageskarte plus” gegönnt, welches in diesem Herbst zu Reisen in der ganzen Schweiz verleiten sollte. Dieses Angebot nahmen selbstverständlich auch die Fussballfans in Anspruch, was zu einiger Unterhaltung für die normalen Zugreisenden führte. Auch hier zeigte sich die Situation zwar laut und ausgelassen, aber friedlich. Die zusätzlich aufgebotenen Berner Kantonspolizisten wären also gar nicht nötig gewesen. Trotzdem dürfte sich der eine oder andere Politiker in Zukunft zweimal überlegen, ob er oder sie wirklich einen Extrazug verbieten will.

 

Der Text wurde im “Stelzbock kompakt”, dem Mitteilungsblatt der USL, vom 27. September 2015 veröffentlicht.

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