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Das Schotterschienen-Massaker

Wie „ungerecht“ doch das Leben ist. Während sich ein Grossteil der FCL-Fans vergangenen Sonntag-Morgen bereits um kurz nach 10 Uhr am Ufer des Neuenburgersees bei traumhaftem Spätsommerwetter mit Musik und Bier auf das Cupspiel gegen Xamax einstimmt, müssen am Bahnhof Luzern dutzende Polizisten in Vollmontur Absperrgitter und Metallschranken schleppen. Die Unterführung wird abgesperrt, der Eingang in Richtung Zentralstrasse geschlossen, verschiedene Perrons abgeriegelt. An jeder Ecke postieren sich Einsatzkräfte der SBB-Transportpolizei. Einheiten der Luzerner Kantonspolizei halten sich im Hintergrund bereit, um unterstützend einzugreifen, sollte es die Lage erfordern. Der Bahnhof Luzern wird zur Festung. Ein jeder Bahnpassagier – ob die asiatische Touristin mit überdimensionalem Koffer oder der etwas ins Alter gekommene Herr mit Wanderrucksack – muss sich vor dem Betreten des Zuges ausweisen.

Was war der Grund für diese aussergewöhnliche flächendeckende Personenkontrolle? Diese Frage beschäftigte mitunter auch einen gewissen Ethan Suplee. Weil er am Sonntag vor Ort keine Antwort erhielt, hakte der besorgte Bürger gestern Montag nach. Und woher kriegt man heutzutage seine Infos? Von den Polizisten hat er gelernt, wo einem geholfen wird, wenn man wieder mal nicht weiter wissen (will): Im Internet. Doch im Gegensatz zu den vorgestrigen Methoden, die der hiesige Staatsgewaltapparat zur Eruierung von potenziellen Störenfrieden anwendet, besorgt sich unser Ethan Suplee die Informationen ganz modern: Im Social Media. Per Facebook. Ein kurzes Posting. Klick. Und weg.
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Kompetent und zeitnah, wie es einem jeden Kommunikations-Profi Freudensprünge verursachen würde, folgte die – so überraschende wie beunruhigende – Antwort der Schweizerischen Bundesbahnen:
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Sapperlot aber auch! Schon wieder eine dieser gemeingefährlichen „grossen Baustellen“! „Hört das denn nie auf“, denkt sich der empörte Leser. Zurecht. Wochenende für Wochenende riesige Polizeiaufgebote und enorme Unkosten für den Steuerzahler (vor allem für mich und dich!) wegen diesen Geleisunterhaltsidioten! Zwei Kilometer (Zweimillionen Milimeter!) Schienen waren es dieses Mal! Und eine nicht bezifferbare Anzahl von Schwellen und Schotter. Es drohte ein Schienenschwellenschotter-Massaker babylonischen Ausmasses. Selbsterklärend, dass da die Transportpolizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt und alles unternommen wurde, um Bahnkunden und Bevölkerung bestmöglich zu schützen.

Gedanklicher Einschub: Man fragt sich, wie die SBB das beim neuen Gotthard-Basistunnel geregelt haben, wo über hundert Kilometer Geleise (fünfzig Mal mehr als in Luzern!) neu verlegt wurden. Es muss wohl die Armee aufgeboten worden sein.

Dass die SBB also nicht nur unsägliche Probleme mit explodierenden Schadenszahlen haben (alleine drei Millionen, oder so – wer nimmt denn das so genau – wegen diesen Fussballfans! Schlagwort: Extrazug-Chaos!), sondern scheinbar auch mit jenen, die Schäden beheben, ist neu. Die SBB sind definitiv nicht mehr zu beneiden. Unheil lauert an allen Ecken und Enden. Und weil neben der Transportpflicht auch die Schienenunterhaltspflicht – unverständlicherweise – noch immer nicht aufgehoben wurde, ist die Bahn dem wütigen Mob in schwarz wie orange scheinbar schutzlos ausgesetzt.

Immerhin: Der beherzte Aufmarsch der Transport- und Kantonspolizei verhinderte am Sonntag Schlimmeres. Ausschreitungen am Bahnhof Luzern blieben – der konsequenten, stundenlangen Abriegelung aller relevanten Geleise und Unterführungen sei Dank – komplett aus! Den Einsatz-Verantwortlichen gebührt unsere grösste Anerkennung und Dankbarkeit. Verwunderlich, dass die edle Leistung der Polizisten medial noch keine Resonanz fand. Versendet die Polizei (für einmal) keine Presseagenturmeldung, wird ihre aufopfernd-barmherzige Arbeit in den Medien einfach ausgeblendet. Ein Jammer!

Vielleicht verzichteten die Verantwortlichen aber auch auf eine Pressemeldung, weil es ihnen effektiv zu peinlich war, sich für diesen völlig verkorksten Auftritt auch noch feiern zu lassen. Selbstverständlich hatten es die Sicherheitskräfte am Sonntag-Mittag weder auf Touristen, noch auf Wanderer und schon gar nicht auf Schotterschwellen-Terroristen abgesehen, sondern auf FCL-Fans. Die Polizei hat sich zwar redlich und intensiv darum bemüht, die Fanszene beim Besteigen der Regelzüge nach Neuenburg zu fichieren. Leider Stunden zu spät. Und am falschen Bahnhof.

Übrigens: In Neuenburg blieb es den ganzen Tag über absolut friedlich-entspannt. Dies obschon vor dem Spiel über 100 Luzerner Chaoten unter Alkoholeinfluss mehr als vier Stunden lang durch die Stadt zogen. Während der gesamten Zeit liess sich kein einziger Polizist blicken. Die Neuenburger Beamten waren wohl – im Gegensatz zu ihren Kollegen aus der Innerschweiz – nicht so scharf darauf, Krieg zu veranstalten, während das Wetter so wunderprächtig zum Geniessen einlud. So oder so: Wir mögen es beiden Korps von Herzen gönnen.

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Nachtrag vom 23.09.15, 10.30 Uhr: Die erwähnte Facebook-Konversation wurde von den SBB nicht gelöscht, wie an dieser Stelle zuvor berichtet, sondern “bloss” ausgeblendet. Obschon sie deshalb auf der SBB-Facebook-Seite nicht mehr sichtbar ist, kann die Diskussion aber nach wie vor abgerufen werden:

Link zur Diskussion auf SBB-Facebook

Nebst Ethan Suplee klinkt sich dabei auch noch Ferdinand Ferdi Deichsler in das Gespräch ein. Auch er weiss interessante Details zu berichten. Ein Klick lohnt sich.

Besten Dank für den entsprechenden Hinweis.

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4 Kommentare

  1. Anette Meier says:

    Ich sags ja nur ungern, aber so von wegen medial nicht abgedeckt stimmt nicht ganz: http://www.luzernerzeitung.ch/fbartikel/FCL-Fans-kontrolliert;art148605,599814

    Hätte aber auch grösser aufgezogen, inklusive Foto sein dürfen. Naja, immerhin wurde diese Aktion nicht ignoriert!

  2. René Higuita says:

    Die meisten Leute mussten an der Perronsperre der Bahnhpolizei wahrscheinlich nur das Billet zeigen, um so gemäss Robocop eine mögliche Auseinandersetzung zwischen hilflosem Kondukteur und bösem Fussballfan ohne Billet vorzubeugen. Obwohl im besagten Regelzug mindestens 20 Bahnpolizisten in Vollmontur, bewaffnet mit Gummischrott- und/oder Tränengas mitfuhren. Sehr freundlich hat auch ein Reisezugbegleiter im Zug ab Olten nach Neuchâtel per Durchsage darauf hingewiesen, dass in den vordersten zwei Wagen nun sogenannte Fussballfans einsteigen und die Fahrgäste doch bitte die besagten Wagen verlassen sollen…

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